Oktober 2023 ǀ Wie sah die Trinkwasserversorgung für Mensch und Tier in den Nordseemarschen aus? Welche Veränderungen es über die Jahrhunderte gab, erfahren Sie im Folgenden.
Mit der Besiedlung der Nordseemarschen, die im 6./5. Jahrhundert v. Chr. in den nördlichen Niederlanden und im 1. Jahrhundert n. Chr. in Schleswig-Holstein einsetzte (Meier 2019; 2023), waren die Menschen in extremer Weise von den naturräumlichen Bedingungen abhängig. Siedlungen lagen zunächst oft noch sturmflutfrei auf höheren Uferwällen an Prielen nahe der Küste und wurden dann zu Warften (Wurten) erhöht, wenn Sturmfluten höher aufliefen. Die Wirtschaft beruhte auf Viehhaltung und sommerlichem Getreideanbau. Das Hinterland prägten ausgedehnte Moore. Der Bevölkerungsanstieg im Hochmittelalter erforderte Investitionen in die Agrarwirtschaft. Daher wurden die Nordseemarschen durch den Deichbau den regelmäßigen Salzwasserüberflutungen entzogen. Zugleich erschloss ein Landesausbau mit langgezogenen Ketten kleiner, als Schutz gegen Binnenwasserüberflutungen errichteter Hofwarften mit anschließenden Streifenfluren (Aufstreckfluren) das vermoorte Sietland (Meier 2019).
Zur Regelung des Binnenwassers dienten Sielzüge, Sietwenden und Siele in den Deichen. Von zentraler Bedeutung war jedoch seit jeher für den Menschen und seine Tiere die Trinkwasserversorgung. Da es in den Nordseemarschen keine Süßwasserquellen gibt und das Grundwasser salzhaltig ist (Rogalla 1956), wurden zur Lösung dieser Probleme zahlreiche technische Wassergewinnungsanlagen konstruiert, die im Folgenden hinsichtlich ihrer Bauweise, ihrer Funktion und ihrer historischen Entwicklung vor allem am Beispiel der schleswig-holsteinischen Nordseeküste betrachtet werden.
Anlagen zur Wasserversorgung
Zu den einfachsten Formen der Wasserversorgung gehören in den Untergrund gegrabene Gruben (Kuhlen) mit Brackwasser, wie sie auch noch heute in trockenen Sommern für das Vieh ausgehoben werden. Eine weitere Methode ist die Sammlung und Speicherung von Regenwasser, wie sie in allen Gebieten der Erde, in denen ungleichmäßige Niederschläge zu verzeichnen sind oder aber das Grundwasser in größerer Tiefe auftritt, mit zahlreichen Varianten angewendet wird. Weit verbreitet sind Zisternen, in denen die Niederschlagsabläufe von den Dächern über Rinnen abgeleitet, dann gefiltert und anschließend in einem meist unterirdischen Auffangbehälter gesammelt werden. Die Förderung erfolgt meistens mit Brunnenbäumen und später mit Handpumpen.
Schachtbrunnen
In den Marschen gehören Schachtbrunnen mit einer Aussteifung durch nachträglich eingebrachte Holzgeflechte bzw. durch einen Holzrahmen (Krüger 1941), wie sie in Ausgrabungen von Siedlungen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte bekannt geworden sind (Meier 2019; 2022), und die seit dem frühen Mittelalter auftretenden Sodenwandbrunnen zu den einfachen Anlagen. Der Schachtbrunnen ist ein Sodenbrunnen, der bis in die Grundwasser führenden Schichten des Untergrundes reicht, der Sod ist hingegen eine flaschenförmige Trinkwasserzisterne auf den Halligwarften bzw. Mittelalterwarften (Abbildung 1).
Sodbrunnen
Die flaschenförmig aufgebauten, mit Soden und später mit Backsteinen verkleideten Sodbrunnen bilden hingegen Süßwasserzisternen, wie sie erst seit dem Hochmittelalter bekannt sind und auf den Halligen bis in die Neuzeit verwendet werden. Bei diesen Soden sollte eine schmale Öffnung das Eindringen von Salzwasser verhindern. Der Name leitet sich wahrscheinlich vom friesischen Wort Sad für Grube oder Graben ab. Im Niedersächsischen steht Sode für einen abgestochenen Rasen und soden bedeutet Rasen ausstechen bzw. ausgraben. Diese Brunnen werden in der Nähe der Siedlungsstätten gegraben und das Wasser mittels Eimern, die an Brunnenbäumen oder an einfachen Schöpfstangen befestigt wurden, gefördert.
Fethinge
Auf den Halligen und Warften finden sich häufig als Viehtränke sog. Fethinge (Petersen 1966; Meier 2020). Bei diesen handelt es sich um Sammelbecken für Grund- und Regenwasser, die außer durch den direkten Niederschlag auch durch Zuleitung von Dachabflüssen von den Halliggebäuden gespeist werden können (Abbildung 2). Sollte der Fething einmal austrocknen, bietet der Kuling, ein Schachtbrunnen an dessen unterem Ende, eine letzte Wasserreserve.
Schetels
Am Fuß mancher Warften finden sich Schetels, weitere sog. Wassersammelstellen oder einfache Wassersammelgruben aus älterer Zeit, von denen mit Holzröhren (Schetel = kurzes Leistenstück) das Wasser zum Fething geleitet wurde. Durch ein verzweigtes Rohrsystem gelangte das Tränkwasser in brunnenförmige Vertiefungen, die sich meist an den Stallenden befanden (Bantelmann 1975).
Tau- und Himmelsteiche
Eine besondere Form der Gewinnung von Wasser stellen die sogenannten Tau- oder Himmelsteiche dar (Du Bois-Reymond 1926). Diese auf den Warften angelegten Teiche dienen der Sammlung von Regenwasser zur Viehtränkung. In aller Regel befinden sich diese in der Mitte der Warft. Die Tauteiche führen auch in sehr trockenen Sommern, wenn alle anderen Kuhlen zu Viehtränkung austrocknen, immer noch Wasser. Dieser Umstand liegt an dem Tau, der sich die durch die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht bildet. Intakte Tauteiche finden sich nur noch auf hoch- und spätmittelalterlichen Warften im Norden der Halbinsel Eiderstedt in Schleswig-Holstein. An dem Tauteich auf der Warft Helmfleth konnte die Taubildung erstmalig durch Messungen nachgewiesen werden (Coldewey et al. 2012).
Ausblick
Im Laufe der Menschheitsgeschichte wurden zur Besiedlung der Marschen zahlreiche technische Maßnahmen entwickelt. Hierzu gehören insbesondere die Einrichtungen zur Gewinnung von Trinkwasser. Einige Lösungsansätze sind sicherlich auch in anderen Wassermangelgebieten mit ähnlichen geologischen und klimatischen Bedingungen anwendbar. In weiteren Veröffentlichungen werden diese im Detail beschrieben und ihre Anwendbarkeit und neuzeitliche Umsetzung diskutiert.
Autoren:
Prof. Dr. Wilhelm G. Coldewey
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Corrensstraße 24
48149 Münster
coldewey@uni-muenster.deDr. habil. Dirk Meier
Nordstrander Straße 3
25764 Wesselburen
dr.dirk.meier@gmail.com
www.kuestenarchaeologie.de
Literaturverzeichnis
Bantelmann, A. 1975, Die frühgeschichtliche Marschensiedlung beim Elisenhof in Eiderstedt. Landschaftsgeschichte und Baubefunde, Bern-Frankfurt.
Coldewey W. G., Werner, J., Wallmeyer, C., Fischer, G. 2012, Das Geheimnis der Himmelsteiche – Physikalische Grundlagen einer historischen Wasserversorgung im Küstenraum, in: Jubiläumsband der DWhG-Schriften 20.2, Siegburg.
Du Bois-Reymond, Cl. 1926, Von Himmelsteichen, in: Die Umschau, 30 (H. 47), 945– 947, Frankfurt.
Gaude, B. 1995, Brunnenanlagen der römischen Kaiserzeit und frühen Völkerwanderungszeit (4.-5. Jahrhundert) in Norddeutschland, Unpublz. Diplomarbeit, Kiel.
Krüger, E. 1941, Kulturspuren im Nordbutjadinger Watt, in: Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet, 2, 59-90, Hildesheim.
Meier, D. 2019: Schleswig-Holstein. Eine Landschaftsgeschichte, Heide.
Meier, D. 2020: Die Halligen in Vergangenheit und Gegenwart, Heide.
Meier, D. 2023: Die Nordseeküste. Ein historischer Atlas, Heide.
Petersen, M. 1966, Über die Erhaltung und Pflege der Fethinge auf den Halligen, in: Zwischen Eider und Wiedau – Heimatkalender für Nordfriesland, 108–111, Husum.
Rogalla, E. H. 1956, Die Wasserversorgung der schleswig-holsteinischen Marschen und Nordseeinseln. Das Problem der Grundwasserversorgung, Hamburg.