21. Februar 2024 ǀ Eine internationale Expedition mit Expert:innen aus verschiedenen Forschungsfeldern begab sich Anfang Februar auf den Weg, um die unterseeischen Lebensräume rund um die Insel Madeira zu erkunden. Besonders interessiert sind die Forschenden an der Rolle von Quallen im Nahrungsnetz des Ozeans.
Quallen sind nur schwer zu untersuchen, denn sie sind sehr fragil und es ist schwierig, sie mit Netzen intakt zu fangen. Deshalb ist der Beitrag des gelatinösen Planktons zum Nahrungsnetz im Ozean noch kaum erforscht. Dies gilt insbesondere für die Tiefsee, die generell noch viele weiße Flecken auf der Wissenslandkarte aufweist.
Neue Arten könnten entdeckt werden
„Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir auf der Fahrt neue Arten entdecken werden”, sagt Dr. Jan Dierking.
Moderne Technologie enthüllt die Geheimnisse der Tiefsee
Das Foto- und Videosystem XOFOS (Ocean Floor Observing System) kartiert den Meeresboden durch Filmaufnahmen und Fotografien. Das Tiefsee-Kamerasystem PELAGIOS (Pelagic in Situ Observation System) ist mit Kamera, Lichtquellen und Umweltsensoren ausgestattet. Es ermöglicht die Dokumentation von Organismen in ihrer natürlichen Umgebung – sowohl tagsüber als auch nachts im Freiwasser. Die Wissenschaftler:innen hoffen, bisher unentdeckte Lebensräume wie Korallengärten oder Tiefseeriffe zu finden, um gezielte Proben zu nehmen.
Ein besonderes Werkzeug begleitet die Expedition: Der ferngesteuerte Unterwasserroboter ROV PHOCA, so groß wie ein Autoanhänger, kann bis zu 2000 Meter tief tauchen. Über eine Glasfaserverbindung überträgt er hochauflösende Live-Videos aus der Tiefsee an die Oberfläche. Je nach Einsatz kann der ROV mit verschiedenen wissenschaftlichen Instrumenten ausgerüstet werden. Im offenen Wasser sammelt eine „Slurp Gun“ empfindliche gallertartige Organismen schonend ein – eine Chance, Tiefseearten unbeschadet zu dokumentieren. Am Meeresboden entnimmt der ROV Proben von Sedimenten, Korallen und Schwämmen. Zudem dient er als Plattform für Experimente zu den sogenannten Nahrungsfällen, also dem, was aus den oberen Schichten des Ozeans hinabsinkt.
„Wir wollen sehen, wie die Lebewesen im Freiwasser mit der Tiefsee in Verbindung stehen: Wer frisst hier wen, wer steht mit wem in Konkurrenz?“, erklärt Dr. Jan Dierking. „Ich bin schon sehr gespannt, was das ROV, unser Auge am Meeresboden, erblicken wird.“
Die Rolle des gelatinösen Planktons
Die Rolle des gelatinösen Zooplanktons, insbesondere der Quallen, im ozeanischen Nahrungsnetz ist eine zentrale Fragestellung. Bisher gibt es nur begrenzte Erkenntnisse, da die Untersuchung von Quallen schwierig ist. Ihre Fragilität erschwert das intakte Fangen mit Netzen, wodurch ihre Bedeutung für die Nahrungsnetze wahrscheinlich unterschätzt wird. Dr. Henk-Jan Hoving, Co-Fahrtleiter der Expedition, betont: „Diese Gruppe von Lebewesen ist äußerst vielfältig. Einige Quallenarten können mehrere Meter lang werden. Manche sind Räuber, die Krebstiere, Fische oder andere gelatinöse Organismen fressen. Andere ernähren sich von Detritus – dem abgestorbenen und verrottenden Material, das reichlich in der Wassersäule vorkommt.“
Das Nahrungsnetz der gelatinösen Organismen, auch als Jellyweb bezeichnet, spielt wahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von organischem Material. Quallen können in großer Zahl auftreten, und wenn eine „Quallenblüte“ stirbt, sinkt möglicherweise eine erhebliche Menge Biomasse ab.
Dr. Jan Dierking erklärt: „Wir wissen noch nicht genau, wie viel davon tatsächlich den Meeresgrund erreicht und wer sich davon ernährt – auch in der Region um Madeira.“
Das Jellyweb könnte eine Schlüsselrolle in den ozeanischen Nahrungsnetzen spielen und maßgeblich am Export von Kohlenstoff in die Tiefsee beteiligt sein .
Öffentliches Interesse ist groß
Die bevorstehende Expedition weckt großes Interesse auf Madeira. Sogar Schulkinder werden live auf das Forschungsschiff geschaltet, um den Wissenschaftler:innen bei ihrer Arbeit zuzusehen.
Dr. Dierking betont: „Auf Madeira gibt es starke Bemühungen, das Wissen über die Tiefsee zu erweitern, um sie besser schützen zu können.“
Die gewonnenen Daten sollen nicht nur Wissenslücken schließen, sondern auch aktiv zum Schutz der Lebensräume und der Artenvielfalt im Meer rund um Madeira beitragen.