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Studie zeigt stagnierende Biodiversität in europäischen Binnengewässern

Eine Langzeitstudie von Senckenberg-Forschenden und einem großen internationalen Team hat gezeigt, dass der Aufschwung der europäischen Süßwasser-Biodiversität seit den 2010er Jahren ins Stocken geraten ist. Die Studie, die im renommierten Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde, untersuchte den Zustand und die Entwicklung der Biodiversität in europäischen Binnengewässern anhand wirbelloser Tiere. 

von | 15.08.23

Die biologische Vielfalt in Flusssystemen aus 22 europäischen Ländern ist über einen Zeitraum von 1968 bis 2020 deutlich angestiegen – seit den 2010er Jahren stagniert diese Entwicklung aber.
Quelle:Senckenberg

15. August 2023 Ι Eine Langzeitstudie von Senckenberg-Forschenden und einem großen internationalen Team hat gezeigt, dass der Aufschwung der europäischen Süßwasser-Biodiversität seit den 2010er Jahren ins Stocken geraten ist. Die Studie, die im renommierten Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde, untersuchte den Zustand und die Entwicklung der Biodiversität in europäischen Binnengewässern anhand wirbelloser Tiere.

Obwohl die biologische Vielfalt in Flusssystemen aus 22 europäischen Ländern zwischen 1968 und 2020 deutlich angestiegen ist, warnt das Wissenschaftler*innen-Team, dass dieser positive Trend seit 2010 stagniert und viele Flusssysteme sich nicht vollständig regenerieren konnten.

Viele wirbellose Tiere tragen zu wichtigen Ökosystemprozessen in Süßgewässern bei

Obwohl Eintags-, Stein- und Köcherfliegen zu den Fluginsekten gehören, verbringen sie den größten Teil ihres Lebens als Larve im Wasser. Laut Prof. Dr. Peter Haase vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt tragen diese und viele weitere wirbellose Tiere zu wichtigen Ökosystemprozessen in Süßgewässern bei. Sie zersetzen organische Stoffe, filtern Wasser und transportieren Nährstoffe zwischen aquatischen und terrestrischen Bereichen. Solche Invertebraten sind seit langem ein Eckpfeiler zur Überwachung der Wasserqualität. Haase betont, dass solch eine Kontrolle immens wichtig ist, da Flüsse und Seen großen anthropogenen Belastungen ausgesetzt sind und zu den am stärksten vom Verlust der biologischen Vielfalt bedrohten Ökosystemen gehören.

Anzahl und Auswirkungen der Stressfaktoren nehmen weiter zu

Binnengewässer sind durch landwirtschaftliche und städtische Flächennutzung verschiedenen anthropogenen Belastungen ausgesetzt. Sie akkumulieren Schadstoffe, organisch belastete Abwässer, Feinsedimente und Pestizide und sind darüber hinaus durch Veränderungen wie Dämme, Wasserentnahme, invasive Arten und den Klimawandel bedroht.

„Als Reaktion auf den schlechten Zustand der Gewässer in den 1950er und 1960er Jahren wurden zur Wiederherstellung von Süßwasserlebensräumen beispielsweise mit dem ‚US Clean Water Act‘ von 1972 und der EU-Wasserrahmenrichtlinie von 2000 wichtige Gegenmaßnahmen ergriffen. Diese Maßnahmen führten zu einem deutlichen Rückgang der organischen Verschmutzung und der Versauerung ab etwa 1980. In den letzten 50 Jahren haben diese Schritte zur Eindämmung der Abwasserbelastung und so zu den aufgezeigten Verbesserungen der biologischen Vielfalt im Süßwasser beigetragen. Dennoch nehmen die Anzahl und die Auswirkungen der Stressfaktoren, welche diese Ökosysteme bedrohen, weltweit weiter zu, und die biologische Qualität der Flüsse ist nach wie vor vielerorts unzureichend.“, erklärt Senior-Autorin Dr. Ellen A.R. Welti, vormals Senckenberg-Wissenschaftlerin und nun Forschungsökologin in den USA am Smithsonian’s Conservation Ecology Center.

Artenvielfalt, funktionelle Diversität und Häufigkeit der Arten sind in den letzten Jahren angestiegen

 „Diese Zuwächse traten jedoch hauptsächlich vor 2010 auf und haben sich seitdem leider auf einem mehr oder weniger gleichbleibenden Niveau eingependelt. Während die Zunahme der biologischen Vielfalt in den 1990er und 2000er Jahren wahrscheinlich die Wirksamkeit von Wasserqualitäts- verbesserungen und Renaturierungsprojekten widerspiegelt, deutet die sich anschließende stagnierende Entwicklung auf eine Erschöpfung der bisherigen Maßnahmen hin“, ergänzt Haase.

70% der Flussabschnitte weisen nicht-heimische Arten auf

Die Studienergebnisse zeigen, dass sich Süßwassergemeinschaften flussabwärts von Staudämmen, städtischen Gebieten und Ackerland weniger schnell erholten. Die Fauna an Standorten mit schnellerer Erwärmung verzeichnete zudem geringere Zuwächse in der Artenvielfalt, der Häufigkeit der Individuen und der funktionellen Diversität. Welti fügte hinzu, dass basierend auf einem Teildatensatz von 1299 von 1816 rund 70% der Flussabschnitte nicht-heimische Arten aufweisen, mit einem durchschnittlichen Anteil von 4,9 Prozent der Arten und 8,9 Prozent der Individuen. Es wurde auch beobachtet, dass sich die eingewanderten Tiere in städtischen Gebieten und stärker belasteten Lokalitäten besser zurechtfinden als die heimische Fauna. Dies könnte zu einem Verlust seltener und empfindlicher einheimischer Arten führen.
Die Autor:innen der Studie betonen, dass erhebliche Investitionen erforderlich sind, um die Abwassernetze auszubauen und die Kläranlagen zu verbessern. Dadurch könnte das Überlaufen von Kläranlagen bei Starkregen verhindert und Mikroverunreinigungen, Nährstoffe, Salze sowie andere Schadstoffe wirksamer entfernt werden. Das Forschungsteam plädiert darüber hinaus für weitere Maßnahmen, wie die Reduktion von Einträgen von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln aus landwirtschaftlichen Flächen, die Anbindung von Überschwemmungsgebieten zur Reduktion zerstörerischer Überschwemmungen sowie die Anpassung unserer Flusssysteme an künftige klimatische und hydrologische Bedingungen.
„Künftig sollte zudem die Überwachung der biologischen Vielfalt in Verbindung mit der parallelen Erhebung von Umweltdaten erfolgen. Nur so können wir die zeitlichen Veränderungen innerhalb der Artenvielfalt wirksam beschreiben, umweltbedingte Faktoren und stark gefährdete Gebiete ermitteln und den Schutz der biologischen Vielfalt maximieren!“, schließt Haase.

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