05. Januar 2024 ǀ Die neue Rote Liste des Bundesamts für Naturschutz und des Rote-Liste-Zentrums zeigt eine besorgniserregende Verschlechterung des Zustands der Süßwasserfische und Neunaugen in Deutschland, mit mehr als der Hälfte der einheimischen Arten nun als bestandsgefährdet oder ausgestorben eingestuft.
Menschliche Aktivitäten, insbesondere die Modifikation und Regulierung von Gewässern, sind die Hauptursache für diese Bedrohung. Zusätzlich verschärfen zunehmende Dürreperioden und steigende Wassertemperaturen die Situation. Aktuell sind mehr als die Hälfte der 90 bewerteten einheimischen Süßwasserfisch- und Neunaugenarten gefährdet oder bereits ausgestorben.
Eine Analyse der Hauptgefährdungsursachen und mögliche Lösungsansätze
Im Vergleich zur Roten Liste von 2009 hat sich die Anzahl der gefährdeten Arten von 22 auf 38 erhöht. Bemerkenswert ist, dass 11 Arten, darunter bekannte wie der Lachs und das Meerneunauge, unmittelbar vom Aussterben bedroht sind. Weitere 9 Arten, darunter der Europäische Stör und der Bodensee-Kilch, sind bereits ausgestorben oder verschollen. Überraschenderweise zeigen etwa 30 Prozent der mäßig bis sehr häufigen Arten, wie die weit verbreitete Brasse, eine negative Bestandsentwicklung in den letzten 20 Jahren.
„Es ist ein Warnzeichen, dass inzwischen auch bei den häufigeren Arten der Süßwasserfische eine schlechte Bestandsentwicklung festzustellen ist. Die zwischenzeitige Erholung von Fischbeständen Ende des 20. Jahrhunderts durch die Verbesserung der Wasserqualität unserer Gewässer hat allerdings gezeigt, dass mit den richtigen Maßnahmen Erfolge für den Artenschutz erreicht werden können. Es sind aber weitere gezielte Anstrengungen für die Erhaltung der einheimischen Arten und die Renaturierung ihrer Lebensräume notwendig“, sagt BfN-Präsidentin Sabine Riewenherm.
Die Hauptgefährdungsursachen für Süßwasserfische und Neunaugen sind seit langem bekannt: Barrieren und Querbauwerke stellen oft unüberwindbare Hindernisse für die Wanderung dar. Dies hat vielerorts zum Aussterben des Lachses geführt. Wasserkraftwerke können zudem zu Verletzungen und hohen Sterblichkeitsraten bei Fischen führen. Die Regulierung und der Ausbau von Gewässern haben ökologisch wertvolle Flachwasserbereiche am Ufer und in der Aue zerstört und sowohl den Verlauf als auch die Fließgeschwindigkeit und Dynamik der Fließgewässer verändert. Das dramatische Fischsterben in der Oder im August 2022 zeigte weitere direkte und indirekte Folgen von Gewässerverschmutzung in Kombination mit dem Gewässerausbau.
Klimawandel, invasive Arten und Deutschlands Verantwortung: Mehrere Faktoren beeinflussen die Bestände der Süßwasserfische und Neunaugen
Zusätzlich sind die Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels spürbar: „Die vermehrt auftretenden Dürre- und Hitzejahre haben vielerorts die Fischfauna beeinträchtigt. Stark betroffen sind die zahlreichen hitzeempfindlichen Arten wie unsere einheimische Forelle, welche nun als gefährdet eingestuft werden musste. Die neue Rote Liste dokumentiert den Beginn einer tiefgreifenden Veränderung der Fischbestände unserer Gewässer“, erklärt Dr. Jörg Freyhof, Hauptautor der Roten Liste und Wissenschaftler am Museum für Naturkunde Berlin.
Die Veränderungen der Fischbestände sind auch auf die zunehmende Ausbreitung gebietsfremder und teilweise invasiver Arten wie der Regenbogenforelle oder dem Sonnenbarsch zurückzuführen: Neben der Konkurrenz um Nahrung und Lebensraum können gebietsfremde Arten auch Fischkrankheiten übertragen, sich mit einheimischen Arten hybridisieren oder diese als Beute nutzen.
Neben der Gefährdungssituation haben die Autoren der Roten Liste auch die Verantwortung Deutschlands für den weltweiten Erhalt der Fisch- und Neunaugenarten bewertet: Für 21 Arten besteht eine erhöhte nationale Verantwortung; sieben davon sind Endemiten für Deutschland. So kommen beispielsweise die vom Aussterben bedrohten Arten Ammersee-Kilch, Fontane-Maräne, Chiemsee-Renke oder Schaalsee-Maräne nur in Deutschland vor.