Gletscherwasser ist in vielen Bergregionen der Erde überlebenswichtig – und endlich. Mit dem Klimawandel droht der Wassermangel: Gletscher schmelzen zu schnell und wertvolles Wasser ist für die betroffene Region unwiederbringlich verloren. Das im Schweizer Projekt MortAlive entwickelte System zur Gletscherbeschneiung könnte schon bald das Abschmelzen der Gletscher um etwa 50 Jahre verlangsamen. In Gebirgsregionen wie dem Himalayagebirge oder den Anden könnte damit die drohende Wasserknappheit verhindert werden.
Am 11. Februar wurde die neue Schneiseil- und Eis-Stupa-Testanlage an der Talstation Diavolezza im Oberengadin erstmalig in Betrieb genommen. Dr. sc. nat ETH Felix Keller, Glaziologe und Experte für Schnee und Permafrost, setzt damit einen weiteren Meilenstein im Gletscherprojekt MortAlive. Mit der Anlage könnte nicht nur das Abschmelzen des Morteratschgletschers verlangsamt, sondern auch weltweit die existenzbedrohenden Wasserknappheit in Gebirgsregionen gelindert werden.
Die Idee: Beschneiung des Gletschers mit recyceltem Gletscherwasser
Schnee reflektiert die Sonnenstrahlung und isoliert den Gletscher vor warmen Sommertemperaturen. Allerdings können herkömmliche Beschneiungsanlagen mit Lanzen aufgrund des sich bewegenden Untergrunds nicht eingesetzt werden. Deshalb hat die Hochschule Luzern in Zusammenarbeit mit den Firmen Bartholet und Bächler Top Track ein Schneiseil mit fünf Düsen entwickelt. Bartholet ist auf dem Weltmarkt führender Hersteller von Seilbahnsystemen. Bächler Top Track hat ein Patent auf das «Nessy ZeroE»-System, das eine stromfreie Schneeproduktion möglich macht. Die Beschneiungsanlage soll in ihrer Endversion ohne elektrische Energie laufen und wird mit einem höhergelegenen See, der sich am Persgletscher bilden wird, verbunden (s. Schaubild).

Schaubild der Testanlage am Morteratsch-Gletscher in Graubünden
Eis-Stupa als Wasserspeicher
Ein Eis-Stupa ist ein künstlich geschaffener Eiskegel, in dem Gletscherwasser gespeichert wird. Diese Anlagen wurden im Himalaya-Gebiet in Indien erfunden und kommen bisher nur dort in Ladagh zur Bewässerung im trockenen Frühjahr zum Einsatz. Dort sind laut einer Studie des Wissensmagazins «Nature» 221 Millionen Menschen direkt und 800 Millionen teilweise auf Gletscherwasser angewiesen. Die Ergebnisse der Schnei- und Ice-Stupa-Testanlage könnten für sie existenziell sein.
Nach der Testanlage folgen Pläne auf dem Gletscher
Nun führt eine Forschungsgruppe der Hochschule Luzern während der laufenden Wintersaison regelmäßig verschiedene Tests durch. «Das Schneiseil ist so zum ersten Mal im Einsatz. Wir müssen beobachten, wie die Düsen sich verhalten, aus denen der Schnee gesprüht wird. Oder ob der Schnee brauchbar ist. Und die größte Herausforderung: wie sich die Mechanik unter diesen Temperaturen verhält», sagt Glaziologe Felix Keller. « Das Wasser darf in den Leitungen nicht gefrieren.».
Läuft alles nach Plan, könnte schon nächsten Winter eine Anlage auf dem Corvatsch über Permafrostboden installiert werden. Felix Keller und das Team hinter MortAlive sind optimistisch: «Unsere Kinder und Enkelkinder werden uns nicht fragen, ob wir gesehen haben, was mit den Gletschern passiert, sondern was wir getan oder nicht getan haben.»
Nähere Informationen zum Projekt: www.mortalive.ch