12. Dezember 2023 ǀ Mitte November 2023 brach ein internationales Team von Forschenden und Bohrfachleuten von Christchurch (Neuseeland) aus in die Antarktis auf, um unter dem inneren Ross-Schelfeis bis zu 200 Meter in den Meeresboden zu bohren. Das Team will geologische Aufzeichnungen über sich verändernde Ablagerungen gewinnen, welche die Umweltbedingungen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung in einer wärmeren Welt als heute widerspiegeln. Die Hoffnung ist, dass diese Aufzeichnungen wichtige Erkenntnisse über die Vergangenheit der Westantarktis liefern und wir so mehr über den potenziellen zukünftigen Beitrag der Antarktis zum Anstieg des Meeresspiegels erfahren.
Jüngste wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass der sich erwärmende Südliche Ozean das Schmelzen von weiten Teilen des Westantarktischen Eisschildes (WAIS) beschleunigen wird – auch heute schon, als Konsequenz der bisherigen Treibhausgas-Akkumulation in der Atmosphäre. Bei kompletter Schmelze enthält der WAIS genug Eis, um den Meeresspiegel um bis zu 5 Meter ansteigen zu lassen. Doch noch ist nicht sicher, wie viel und wie schnell das Eis der Westantarktis schmelzen wird.
Während Teile des WAIS sehr anfällig zu sein scheinen, bleibt unklar, wann und unter welchen klimatischen Bedingungen die großen Schelfeisflächen, die das Inlandeis stabilisieren, verloren gehen. Um hierauf Antworten zu finden, braucht es Sedimente aus Regionen nahe dem Zentrum der Westantarktis, die während vergangener Zeiträume abgelagert wurden, die wärmer waren als heute. Diese Sedimente enthalten Umweltinformationen, die für die Vorhersagen von entscheidender Bedeutung sind, aber bisher nicht zugänglich waren.
Allgemeine Hintergrundinformationen
Weniger Wissen als über den Mond vorhanden
„Wir wissen mehr über die Gesteine und die Zusammensetzung des Mondes als über das Land unter dem westantarktischen Eisschild“, sagt Mikropaläontologin Denise Kulhanek (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), eine der leitenden Wissenschaftlerinnen des SWAIS 2C-Projekts.
Seit der ersten Landung im Jahr 1969 haben Astronauten über 2.400 Gesteins- und Mineralproben von verschiedenen Stellen des Mondes entnommen. Unter der Eisdecke der Westantarktis gibt es jedoch nur 13 Stellen, an denen Wissenschaftler und Forscher geologische Proben entnommen haben. Am 16. November brach ein internationales Team von Forschenden und Bohrfachleuten von Christchurch aus in die Antarktis auf, um das zu ändern.
Im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts „Sensitivity of the West Antarctic Ice Sheet to Two Degrees of Warming“ (SWAIS 2C) soll ermittelt werden, ob das Ross-Schelfeis und der westantarktische Eisschild abschmelzen könnten, wenn die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde 2 °C über den Werten vorindustrieller Zeit liegt.
„Im Pariser Abkommen haben wir uns verpflichtet, die globalen Durchschnittstemperaturen deutlich unter 2°C im Vergleich zu vorindustriellen Bedingungen zu halten. Modelle sagen uns, dass der Westantarktische Eisschild zusammenbrechen wird, sobald dieser Wert überschritten wird. Bislang lässt sich dies jedoch nicht bestätigen – einfach deshalb, weil wir noch keine fundierten geologischen Beweise haben, die es erlauben würden, das Verhalten des Eisschildes in vergangenen Warmzeiten zu definieren“, sagt Johann P. Klages, Meeresgeologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), deutscher Ko-Koordinator und Mitglied des SWAIS 2C-Wissenschaftsteams.
Hintergrund SWAIS 2C-Projekt
Mehr über die Vergangenheit für die Zukunft erfahren
Um mehr über den potenziellen Beitrag der Antarktis zum Anstieg des Meeresspiegels zu erfahren, reist ein Team von Fachleuten für Bohrungen, Ingenieurswesen und Forschung ca. 800 Kilometer per Traverse und Flugzeug zum südöstlichen Rand des Ross-Schelfeises. Dort werden sie bis zu 200 Meter in den Meeresboden bohren, um geologische Aufzeichnungen über sich verändernde Ablagerungen zu gewinnen, welche die Umweltbedingungen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung widerspiegeln. Die Hoffnung ist, dass diese Aufzeichnungen wichtige Erkenntnisse über die Vergangenheit der Westantarktis und die Zukunft unserer Erde liefern.
„Wir werden ein speziell angefertigtes Heißwasserbohrgerät verwenden, um ein Loch mit einem Durchmesser von 35 Zentimetern durch 590 Meter dickes Eis zu schmelzen, um dann durch 50 Meter Ozeanwasser an die Stelle zu gelangen, wo der Eisschild sich von seinem Bett gelöst hat und neuen Ozeanboden geschaffen hat“, sagt Andreas Läufer, Geologe an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), deutscher Koordinator und Mitglied des SWAIS 2C-Wissenschaftsteams.
Bis 2024 wird in der Antarktis gearbeitet
„Dort werden wir dann ein spezielles Sedimentkernbohrsystem über dem Loch positionieren, ein Hohlbohrsystem auf den Meeresboden absenken und in die Tiefe bohren, um hoffentlich lange Sedimentaufzeichnungen aus der Vergangenheit der Westantarktis zu erhalten“, sagt Darcy Mandeno vom Antarctic Research Centre in Wellington (Neuseeland), Leiterin der Bohrarbeiten für SWAIS 2C.
Die Feldarbeiten in der Antarktis werden im November 2023 auf dem Kamb-Schelfeis beginnen und bis Januar 2024 andauern. Eine zweite Feldsaison wird im November 2024 am Crary-Eisrand beginnen.
Zur ProjektwebsiteWissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Johann P. Klages
Tel: 0471 4831-1216
Johann.Klages@awi.de