18. Juli 2022 | Auf rund 32 Mrd. Euro schätzt die deutsche Bundesregierung den Gesamtschaden der verheerenden Überschwemmungen im Juli 2021. Das Ereignis gehört zu den fünf schwersten und teuersten Naturkatastrophen der letzten 50 Jahre in Europa. Mehr als 180 Menschen verloren ihr Leben, weit über 10.000 Gebäude wurden beschädigt. Kritische Infrastrukturen wie Strom- und Wasserversorgungsnetze, Brücken und Straßen wurden teilweise oder vollständig zerstört. Was bisher für einen besseren Hochwasserschutz unternommen wurde, was noch geplant ist und was Forschende dazu raten, um künftig besser auf solche Extremereignisse vorbereitet zu sein, erfahren Sie in dieser Meldung.
Aktuelle Studien zur Flutkatastrophe in der Eifel 2021 und zur zukünftigen Entwicklung solcher Extremereignisse
Wie Niederschläge, Verdunstungsprozesse, Gewässer- und Abflussverhalten dieses Hochwasser begünstigten, haben Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in zwei Studien untersucht. Um künftig besser auf solche Extremereignisse vorbereitet zu sein, raten sie dazu, bei Risikobewertungen die Landschaft und Flussverläufe, deren Veränderungen und den Sedimenttransport stärker zu berücksichtigen. Zukunftsprojektionen zeigen außerdem eine zunehmende räumliche Ausdehnung und Häufigkeit solcher Extremereignisse sowie erhöhte Niederschlagsmengen.
Das Gesamtausmaß des Hochwassers am 14. und 15. Juli 2021 in der Eifel war auch für Expert:innen überraschend. Eine Kombination mehrerer Faktoren bedingte diese Katastrophe: „Wir haben untersucht, wie Niederschläge, Verdunstungsprozesse sowie Gewässer- und Abflussverhalten dieses Hochwasser begünstigt haben“, sagt Dr. Susanna Mohr, Geschäftsführerin des Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM) am KIT, welche die Studie zusammen mit einem interdisziplinären Team aus mehreren Instituten des KIT erstellt hat.
Geschiebe erhöhte das Ausbreiten sowie die Auswirkungen des Hochwassers an der Ahr
An der Ahr bewegte sich die geschätzte Wasserabflussmenge 2021 in einer ähnlichen Größenordnung wie bei den historischen Hochwasserereignissen 1804 und 1910. Trotzdem lagen die Pegelstände 2021 an mehreren Orten deutlich höher. „Wir haben gesehen, dass sich die Art des Geschiebes – also Material, das durch ein Fließgewässer mittransportiert wird – erheblich verändert hat. Neben Abtragungen von Sedimenten und bereits vorhandenem Totholz hat der anthropogene, also vom Menschen verursachte Einfluss eine erhebliche Rolle gespielt“, sagt Mohr. „So haben sich etwa Fahrzeuge, Wohnwagen, Mülltonnen oder Baumaterialien an Brückenbereichen gestaut, was zu zusätzlichen Engpässen geführt und die Auswirkungen des Hochwassers weiter verschärft hat.“ Um zukünftig besser auf solche Ereignisse vorbereitet zu sein, sei es beim Hochwasserrisikomanagement notwendig, Landschaft, Infrastrukturen und Bebauung sowie Flussverläufe einschließlich deren Veränderungen und mögliche Sedimenttransporte in die Gefährdungsbeurteilung miteinzubeziehen.
Die Forschenden verglichen weiterhin das Niederschlagsereignis vom Juli 2021 mit historischen Niederschlagsaufzeichnungen. Die Analysen zeigten, dass die Niederschlagsausmaß nicht einzigartig war. Allerdings seien vergangene Niederschlagsereignisse, die mit dem im Juli 2021 vergleichbar sind, überwiegend im Osten und Süden von Deutschland und seltener im Westen beobachtet worden.
Risikokompetenz der Bevölkerung muss verbessert werden
Risikokompetenz der Bevölkerung muss verbessert werden
Das schwere Hochwasser im Juli 2021 habe somit gezeigt, wie wichtig es ist, auf derartige Ereignisse vorbereitet zu sein und angemessen zu reagieren, so die Forschenden. Um die Resilienz, also die Widerstandfähigkeit im Falle von Katastrophen, zu erhöhen und somit Schäden und Opferzahlen zu verringern, gelte es daher, neben dem Gefahrenpotenzial auch die Verwundbarkeit von Systemen und soziale Aspekte miteinzubeziehen. Ein essenzieller Bestandteil von Resilienz sei dabei die Risikokompetenz der Bevölkerung, also das Wissen um angemessene und rasche Handlungsmöglichkeiten bei Eintritt einer Katastrophe.
Originalpublikationen
Susanna Mohr, Uwe Ehret, Michael Kunz, Patrick Ludwig, Alberto Caldas-Alvarez, James E. Daniell, Florian Ehmele, Hendrik Feldmann, Mário J. Franca, Christian Gattke, Marie Hundhausen, Peter Knippertz, Katharina Küpfer, Bernhard Mühr, Joaquim G. Pinto, Julian Quinting, Andreas M. Schäfer, Marc Scheibel, Frank Seidel, and Christina Wisotzky (2022): A multi-disciplinary analysis of the exceptional flood event of July 2021 in central Europe. Part 1: Event description and analysis. Nat. Hazards Earth Syst. Sci. Discuss., https://doi.org/10.5194/nhess-2022-137, in review. Patrick Ludwig, Florian Ehmele, Mário J. Franca, Susanna Mohr, Alberto Caldas-Alvarez, James E. Daniell, Uwe Ehret, Hendrik Feldmann, Marie Hundhausen, Peter Knippertz, Katharina Küpfer, Michael Kunz, Bernhard Mühr, Joaquim G. Pinto, Julian Quinting, Andreas M. Schäfer, Frank Seidel, and Christina Wisotzky: A multi-disciplinary analysis of the exceptional flood event of July 2021 in central Europe. Part 2: Historical context and relation to climate change. In finaler Vorbereitung für Nat. Hazards Earth Syst. Sci. Discuss.Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen äußert sich ebenfalls zum Jahrestag der Katastrophe
Wir müssen beim Hochwasserschutz den ganzheitlichen Betrachtungsansatz stärken. Wir stehen als Land vor großen Herausforderungen, unter anderem im Bereich der technischen Hochwasserschutzeinrichtungen und der Vorhersage- sowie Warnmeldesysteme. Zugleich gilt: Hochwasserschutz beginnt bereits in der Fläche. Daher werden wir den ganzheitlichen Ansatz nun ausbauen, ausreichend finanzieren und personell besser ausstatten, so Umwelt- und Verkehrsminister Minister Oliver Krischer.
Als Teil des Hochwasserrisikomanagements soll auch der ökologische Hochwasserschutz fortgesetzt und ausgebaut werden. Geplant ist zudem, vorsorgenden Hochwasserschutz als Grundsatz in den Landesentwicklungsplan (LEP) aufzunehmen.
Klimaanpassung muss stärker in den Fokus rücken
Es ist davon auszugehen, dass die Klimakrise solche Ereignisse wie das Hochwasser 2021 zukünftig wahrscheinlicher macht. Prognostiziert werden für Nordrhein-Westfalen in ihrer Intensität und Häufigkeit zunehmende Starkniederschläge, die in jeder Kommune auftreten können. Die Landesregierung wird daher den Hochwasserschutz auf der Grundlage des 10-Punkte-Arbeitsplans des Umweltministeriums stärken und eine ausreichende Finanzierung und Personalausstattung der Wasserwirtschaftsverwaltung sicherstellen. “Darüber hinaus stärken wir den ökologischen Hochwasserschutz durch Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie. In diesem Zusammenhang wollen wir das Landesprogramm ,Lebendige Gewässer’ fortsetzen und ausbauen. Denn Hochwasserschutz beginnt bereits in der Fläche”, sagte Minister Krischer.
Weitere Informationen zum Wiederaufbau sowie zu weiteren Maßnahmen befinden sich auf der Webseite des Umweltministeriums NRW.
Masterplan zur Steigerung der Hochwasserresilienz im Einzugsgebiet von Inde und Vicht wird vorgestellt
Der Wasserverband Eifel-Rur hat in Kooperation mit dem Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft unter der Einbindung der Kommunen im Einzugsgebiet von Inde und Vicht und eines interdisziplinären Expertengremiums einen Masterplan zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit (Resilienz) gegen Hochwasser erstellt. Dieser enthält eine Vielzahl von Vorschlägen für Maßnahmen, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll.
Der Masterplan wird auf einer eigenen Homepage vorgestellt, die ab dem heutigen Jahrestag des Hochwassers freigeschaltet ist. Dabei geht es um allgemeine Informationen zum Masterplan, es werden aber auch einzelne Projekte vorgestellt.
Die Homepage ist unter www.hochwassergefahrenvorbeugen.de zu erreichen.
Verband stellt Hochwassermarken zur Verfügung
Ebenso hat der Verband Hochwassermarken anfertigen lassen. Diese können von Betroffenen aus dem gesamten Verbandsgebiet (Einzugsgebiet der Rur in Deutschland) beantragt werden. Dazu findet sich auf der oben genannten Homepage unter „Aktuelles/Termine“ ein Meldebogen. Dieser kann ausgefüllt und an die Mailadresse hochwasservorbeugen@wver.de zurückgeschickt werden. Diese werden ab Mitte August dann durch den Wasserverband Eifel-Rur an den Häusern eingemessen und angebracht. Für die Betroffenen dient es zur Erinnerung; für den Verband entsteht so ein über die Fläche verteiltes Datennetz zu den Höchstständen des Hochwassers.