Seegraswiesen sind nicht nur Lebensraum für Fische, CO2-Speicher und Küstenschützer, sondern auch sehr effektiv bei der Reduktion von Krankheitserregern im Meer. Wie genau dies funktioniert, haben nun Forscher der Marine Naturstoffchemie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel untersucht. Sie analysierten die mikrobiellen Gemeinschaften auf Seegras in der Ostsee und fanden heraus, dass insbesondere Bakterien auf gesunden Pflanzen eine starke antibiotische Wirkung entfalten. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Science of the Total Environment veröffentlicht.
Seegräser sind einzigartig, da sie die einzigen Blühpflanzen sind, die den Weg vom Land zurück ins Meer gefunden haben. Aufgrund ihrer Photosyntheseleistung werden sie auch als „Lungen der Meere“ bezeichnet. Weltweit sind sie – mit Ausnahme der Antarktis – in Küstengebieten verbreitet, wo sie ausgedehnte Unterwasserwiesen bilden.
Neben diesen Besonderheiten besitzen Seegraswiesen eine immense ökologische und ökonomische Bedeutung. Sie dienen als Laichgebiete für Fische, Versteck für Jungfische und Lebensraum für Muscheln, Schnecken und Krebse. In ihrer Produktivität und Artenvielfalt gehören sie neben Korallenriffen und Regenwäldern zu den wichtigsten Ökosystemen der Erde. Seegraswiesen beruhigen die Brandung, stabilisieren das Sediment mit ihren Wurzeln und speichern unter dem Sand Kohlendioxid besonders schnell und effektiv.
Eine weitere wichtige Funktion von Seegraswiesen wurde vor einigen Jahren entdeckt: Sie tragen dazu bei, die Zahl krankheitserregender Bakterien im umliegenden Wasser zu verringern. Eine Studie aus dem Jahr 2017 zeigte, dass die Konzentration gefährlicher Bakterien in indonesischen Seegraswiesen nur etwa halb so hoch war wie im Wasser außerhalb dieser Wiesen. Weitere Studien, auch am GEOMAR, konnten diese Reduktion von Krankheitserregern wie E. coli, Enterokokken, Salmonellen und Vibrionen bestätigen.
Seit vielen Jahren untersuchen Wissenschaftler der Forschungseinheit Marine Naturstoffchemie am GEOMAR die verschiedenen Mechanismen, die hinter diesem Effekt stecken. Die Ergebnisse des ersten Teils ihrer Studie wurden nun in Science of the Total Environment veröffentlicht.
Komplexe Mechanismen der Krankheitserreger-Reduktion in Seegraswiesen
„Die Reduktion von Krankheitserregern im Wasser ist ein äußerst komplexer Prozess, der physikalische, mikrobiologische, biologische und chemische Mechanismen miteinander vereint“, erklärt Dr. Deniz Tasdemir, Professorin für marine Naturstoffchemie und Hauptautorin der Studie.
Die Forschenden begannen ihre Untersuchung, indem sie das kultivierbare Mikrobiom von Zostera marina, einer weit verbreiteten Seegrasart in der Ostsee, sowie die von ihr produzierten natürlichen Moleküle analysierten. Hierfür isolierten sie fast 90 Bakterien und Pilze von der Oberfläche und aus dem Gewebe der Seegrasblätter und -wurzeln und testeten deren Extrakte auf antibiotische Wirkung. Diese Tests wurden gegen eine Vielzahl von Krankheitserregern durchgeführt, die sowohl aquatisch als auch menschlich oder pflanzlich sein können, darunter Vibrio-Arten, die bei Menschen schwere Krankheiten verursachen können, insbesondere durch den Verzehr von rohen oder nicht durchgegartem Meeresfrüchten oder bei Hautkontakt während Freizeitaktivitäten.
Die Ergebnisse zeigten, dass insbesondere Bakterien von gesunden Seegrasblättern eine starke und breit wirksame antibiotische Aktivität besitzen, die in einigen Fällen sogar kommerzielle Antibiotika übertrifft.
„Das hat unsere Hypothese bestätigt“, sagt Prof. Tasdemir.
Neben den bereits bekannten antimikrobiellen Substanzen entdeckte das Team auch zahlreiche neue Verbindungen in diesen Bakterien. Diese neuen Moleküle werden nun isoliert, chemisch gereinigt, ihre Struktur bestimmt und ihr Potenzial als künftige Antibiotika evaluiert.
„Für uns ist das nur der Anfang. In Zusammenarbeit mit einem internationalen Team arbeiten wir intensiv an weiteren chemischen und mikrobiellen Mechanismen und untersuchen, wie sie zur Hygienewirkung von Seegras im Labor und in natürlichen Meeresumfeldern beitragen können“, so Tasdemir weiter.
Die durch den Klimawandel verursachte Erwärmung der Meere führt in den Sommermonaten zu einer höheren Belastung der Küstengewässer mit Krankheitserregern wie Vibrionen, was auch an der deutschen Ostsee ein zunehmendes Gesundheitsrisiko darstellt. Die Fähigkeit von Seegraswiesen, Krankheitserreger zu regulieren, wird daher immer wichtiger für die Gesundheit sowohl der Meere als auch des Menschen. Darüber hinaus bietet das Mikrobiom der Seegräser ein großes Potenzial zur Entdeckung neuer Antibiotika, was im Hinblick auf die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen von großer Bedeutung ist. Aus diesem Grund ist der Schutz und die Wiederherstellung von Seegraswiesen heute von entscheidender Bedeutung.
Originalpublikation: https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S004896972307050X