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Neue AWI-Simulationen zeigen Klimawandel-Effekte auf Wetterextreme

Eine neue Modellierungsmethode des AWI ermöglicht es, reale Wetterereignisse mit und ohne Klimawandel zu vergleichen. So wird sichtbar, wie die globale Erwärmung extreme Wetterphänomene wie Sturmtief „Boris“ beeinflusst – und wie ein neues Online-Tool es jedem ermöglicht, diese Zusammenhänge in nahezu Echtzeit nachzuvollziehen.

von | 12.11.24

Eine Analyse des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) zeigt nun, dass das Sturmtief in einer Welt ohne die heutige Erderwärmung etwa neun Prozent weniger Regen gebracht hätte.
Quelle: Pixabay/Skitterphoto

Erst kürzlich verursachte das Sturmtief „Boris“ mit starken Niederschlägen Chaos und Überschwemmungen in Mittel- und Osteuropa. Eine Analyse des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) zeigt nun, dass das Sturmtief in einer Welt ohne die heutige Erderwärmung etwa neun Prozent weniger Regen gebracht hätte. Diese konkrete Aussage ist dank einer neuen Modellierungsmethodik möglich, die nun in Nahe-Echtzeit im Fachmagazin Nature Communications Earth & Environment vorgestellt wurde. Zusätzlich hat das AWI-Team ein frei zugängliches Online-Tool veröffentlicht, das es ermöglicht, den Fingerabdruck des Klimawandels im aktuellen Wettergeschehen zu identifizieren und eigene Vergleichsgrafiken zu erstellen.

Niederschlagsmengen von Sturm „Boris“ vom 12. bis zum 16. September 2024 in (a) Beobachtungen und (b) Simulation (in Millimeter); Simululation bisheriger Klimawandel in (c), starke zusätzliche Erwärmung in (d) Quelle: Alfred-Wegener-Institut / Marylou Athanase

Klimawandel und seine Rolle bei extremen Wetterereignissen

Mitte September sorgte das Sturmtief „Boris“ für sintflutartige Regenfälle und extremes Hochwasser in Polen, Tschechien, Österreich und Rumänien. In vielen Regionen wurden die stärksten jemals gemessenen Niederschläge innerhalb von fünf Tagen registriert. Mindestens 27 Menschen starben, und unzählige mussten ihre Häuser verlassen. Die Lage hat sich inzwischen beruhigt, doch die aktuellen Extremwetterereignisse in Spanien werfen weiterhin die Frage auf: War der globale Klimawandel schuld an der Katastrophe?

„Diese absolut legitime Frage kann die Forschung seit einigen Jahren gut beantworten“, sagt Dr. Marylou Athanase, Leitautorin der Studie und Physikerin in der Abteilung Klimadynamik am AWI. „Bereits ein oder zwei Wochen nach dem Ereignis liefern sogenannte Attributionsstudien erste Aussagen darüber, in welchem Maße ein solches Ereignis durch den Klimawandel wahrscheinlicher geworden ist.“

Das Problem dabei: Wahrscheinlichkeiten sind oft schwer zu fassen, besonders wenn sie auf konkrete, erlebbare Ereignisse angewendet werden. In der Kommunikation mit der Öffentlichkeit und Entscheidungsträgern fehlte der Wissenschaft bislang ein Werkzeug, das den Einfluss des globalen Klimawandels auf tatsächliches Wetter eindrucksvoll und verständlich aufzeigt.

„Am AWI haben wir deshalb einen neuen Weg maßgeblich mit vorangetrieben – den ‚Storyline‘-Ansatz“, erklärt Dr. Antonio Sánchez-Benítez, Ko-Leitautor der Studie. „Wir arbeiten dabei nach dem Was-wäre-wenn-Prinzip: Wie hätte ein konkretes Ereignis in einer Welt ohne Klimawandel ausgesehen? Und wie in einem noch wärmeren Klima? Durch den Vergleich der Was-wäre-wenn-Szenarien mit der Realität können wir den Fingerabdruck des Klimawandels sehr konkret bestimmen – nicht nur für Extremereignisse, sondern auch für das alltägliche Wetter.“

Der Einfluss des Klimawandels auf lokale Wetterereignisse: Neue Methoden zur Analyse und Simulation

Am Beispiel von Sturmtief „Boris“ zeigt sich, dass das Ereignis ohne die globale Erwärmung etwa neun Prozent weniger Niederschlag verursacht hätte. In der Realität konnte sich das Sturmtief jedoch stärker auftanken, weil das Wasser im östlichen Mittelmeer und im Schwarzen Meer seit der vorindustriellen Zeit um zwei Grad Celsius wärmer geworden ist, was mehr Wasserdampf in der Luft zur Folge hatte. Neun Prozent weniger Niederschlag mag wenig erscheinen, doch bei den Folgen von Starkregen ist entscheidend, wie viel Wasser sich am Boden ansammelt und wohin es abfließt. Wenn Flüsse, Staudämme oder die Kanalisation überlastet sind, kann es zu erheblichen Schäden kommen.

Wie jedoch gelang es den Forschern, Klimamodellrechnungen, die normalerweise für langfristige Trends gedacht sind, mit konkretem lokalen Wetter zu verbinden?

„Eine wichtige Methode ist das sogenannte ‚Nudging‘“, erklärt Dr. Helge Gößling, Klimaphysiker und Leiter der Storyline-Forschung am AWI. „Klimamodelle simulieren normalerweise eine eigene, zufällige Abfolge von Wetterzuständen. Um Unterschiede im Klima zu bestimmen, muss man über lange Zeiträume und viele Wetterzustände hinweg schauen, ob sich Mittelwerte und Verteilungen ändern. Beim ‚Nudging‘ geben wir dem Modell real gemessene Winddaten wie die des Jetstreams vor, um es stündlich in Richtung der echten Winde zu steuern. So können wir reales Wetter im realen Klima sehr gut simulieren.“

Anschließend versetzen die Forscher das Modell in eine Welt ohne Klimawandel, indem sie etwa die Treibhausgaskonzentrationen verringern, und wiederholen das Experiment.

Das eingesetzte Modell basiert auf der CMIP6-Version des AWI-Klimamodells, das auch zur Datengrundlage des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats (IPCC) beigetragen hat. Die ins Modell eingespeisten Winddaten stammen aus der ERA5-Reanalyse des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF).

„Wir haben das System inzwischen so automatisiert, dass auf dem Hochleistungsrechner des Deutschen Klimarechenzentrums (DKRZ) täglich Analysen zum aktuellen Wettergeschehen durchgeführt werden“, erklärt Marylou Athanase. „Diese Daten werden dann auf ein Online-Tool übertragen, das auf den Servern des AWI läuft und für jede und jeden unter https://climate-storylines.awi.de frei zugänglich ist. Die Analysen werden mit drei Tagen Verzug durchgeführt und sind sofort online verfügbar. So kann sich jeder das ‚Klimawandel-Signal des Tages‘ für extremes und alltägliches Wetter weltweit und in nahezu Echtzeit in Form von interaktiven Karten und Zeitreihen anschauen. Zunächst werden Temperatur und Niederschlag ab dem 1. Januar 2024 zur Verfügung stehen. Damit möchten wir das Verständnis des Zusammenhangs von Klimawandel und Wettergeschehen fördern und konkrete, zeitnahe Antworten liefern, die auch in der medialen Berichterstattung genutzt werden können.“


Originalpublikation: https://doi.org/10.1038/s43247-024-01847-0

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