Wie veränderte sich das Klima im Alpenraum während der Eiszeiten und prägte Gletscher, Flora und Fauna über die Jahrtausende? Das Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG) geht dieser Frage ab Anfang April in Zusammenarbeit mit der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und dem Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau im Regierungspräsidium Freiburg (LGRB) mit drei Forschungsbohrungen innerhalb der Gemeinde Ingoldingen südöstlich von Winterstettenstadt nach. Die bis zu 160 Meter tiefen Bohrungen bilden den Auftakt des internationalen Projekts „DOVE – Drilling Overdeepened Alpine Valleys“. Dies hat das Ziel, die räumliche und zeitliche Klimaentwicklung während der Eiszeiten in den vergangenen 2,6 Millionen Jahren im gesamten Alpenraum zu rekonstruieren.
Die gewonnenen Sedimente aus dem sogenannten Tannwaldbecken sollen Aufschluss über die klimatischen Veränderungen in der Region und deren Auswirkungen auf die Ausprägungen des ehemaligen Rheingletschers sowie die Landschaftsentwicklung geben. Auf einer Fläche von 1500 Quadratmetern werden dazu zwei Spülbohrungen und eine Kernbohrung mit je einer Tiefe von bis zu 160 Metern durchgeführt. Die erste Spülbohrung startet am 7. April, woran die zweite Spülbohrung direkt anschließt. Einige Zeit darauf beginnt die mehrwöchige Kernbohrung.
Geophysikalische Messungen und Bohrkern-Analyse
Forschende des LIAG nehmen in den Bohrlöchern mit verschiedensten Sonden geophysikalische Messungen vor, um die spezifischen Eigenschaften der Sedimente zu ermitteln. Mit seismischen Messungen zwischen den Bohrungen erfassen sie die Bedingungen für die Sedimentablagerungen im Detail. Erste Ergebnisse aus Voruntersuchungen wurden bereits in 3-D-Modelle umgesetzt. Die aus der Kernbohrung gewonnenen Sedimente untersuchen die Projektpartner unter anderem auf ihre Alter, ihren Pollengehalt sowie auf das Vorhandensein von Kleinstlebewesen. Teilweise werden die Sedimente bereits direkt vor Ort mittels eines Kernscanners analysiert.
„Mit dem Projekt betreiben wir bedeutende Grundlagenforschung zur räumlichen und zeitlichen Dynamik von Eiszeiten sowie zu Fragen der Klimaentwicklung in der Vergangenheit“, erklärt Prof. Dr. Gerald Gabriel, Geophysiker und Projektverantwortlicher am LIAG. „Die Erkenntnisse sind nicht zuletzt für das Verständnis von möglichen Entwicklungen in der Zukunft wichtig. Dabei ist die Geophysik entscheidend, um die punktuellen Bohrergebnisse in den dreidimensionalen Raum zu übertragen.“
„Durch die internationale Zusammenarbeit können wir in diesem Großprojekt unsere Expertise bündeln und die Ergebnisse fach- und länderübergreifend interpretieren sowie Entwicklungen prognostizieren“, ergänzt Prof. Dr. Frank Preusser, Sedimentgeologe und Eiszeitenforscher an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Dr. Ulrike Wielandt-Schuster, Referentin für Geologische Grundlagen im LGRB, sieht den Mehrwert für das Land: „Forschungsbohrungen sind für uns sehr wertvoll, denn je fundierter und qualitativ hochwertiger unsere Datengrundlage ist, desto besser können wir den Aufbau des Untergrunds verstehen.“
Daten geben Aufschluss zu Grundwasserversorgung oder Geothermiepotenzial
Zusätzlich bieten die erhobenen Daten wertvolle Informationen zu angewandten Fragen: Sie nützen beispielsweise der Beantwortung von Fragen zur Langzeitsicherung der Grundwasservorkommen. Auch das Potenzial geothermischer Bohrungen oder grundsätzliche, geologische Eigenschaften und Prozesse können mit den Daten erfasst werden, was für zukünftige Planungen und Prognosen unterstützend wirken kann.
Gefördert werden die Forschungsbohrungen vom International Continental Scientific Drilling Program (ICDP) als internationale Organisation zur Förderung und Unterstützung der Geowissenschaften im Bereich von wissenschaftlichen Kontinentalbohrungen, vom LGRB, der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen weiterer Untersuchungen sowie dem LIAG, welches für die Koordination der Forschung und der Bohrungen bei Winterstettenstadt verantwortlich ist. Insgesamt ist das Ziel von DOVE, innerhalb der nächsten Jahre Sedimente aus bis zu 16 Bohrungen an Standorten rund um die Alpen zu untersuchen. Über 20 nationale und internationale Partnerorganisationen mit über 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beteiligen sich an dem Großprojekt.