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Abkühlung statt Paarung

Engelhaie, eine vom Aussterben bedrohte Haiart, verändern in wärmer werdenden Ozeanen ihr Paarungsverhalten: Wenn die Wassertemperaturen zu hoch werden, meiden die Weibchen ihre traditionellen Fortpflanzungsgebiete – und setzen stattdessen auf Abkühlung. Diese Verhaltensänderung führt dazu, dass die Haie sich schlechter fortpflanzen können. Das könnte schwerwiegende Folgen für den Bestand der Art haben.

von | 23.07.25

Engelhaie, eine vom Aussterben bedrohte Haiart, verändern in wärmer werdenden Ozeanen ihr Paarungsverhalten.
Quelle: Nuno Vasco Rodriguez
Engelhai

Akustiksignale zeigen Verhaltensänderung

Die Studie, die im Fachmagazin Global Change Biology veröffentlicht wurde, wurde von Forschenden der Lancaster University und des Angel Shark Project: Canary Islands durchgeführt – einer Zusammenarbeit des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), der Universität Las Palmas de Gran Canaria und der Zoological Society of London.

Mithilfe akustischer Sender untersuchte das Team das Verhalten der Engelhaie (Squatina squatina) rund um die Kanarischen Inseln und stellte fest: Die langanhaltende Erwärmung der Meere in der Region bringt das Fortpflanzungsverhalten weiblicher Tiere aus dem Gleichgewicht.

Weibchen reagieren anders als Männchen

Besonders deutlich wurde das im Jahr 2022, als außergewöhnlich hohe Meerestemperaturen herrschten. Die Forschenden beobachteten, dass weibliche Engelhaie in dieser Zeit fast vollständig aus dem La Graciosa Meeresreservat – dem größten Spaniens – verschwanden. Normalerweise ist dieses Gebiet vor Lanzarote ein zentrales Paarungsgebiet der Art. Die Wassertemperaturen lagen damals bei über 23,8 °C und überschritten 22,5 °C fast drei Mal so lang wie in früheren Jahren – und das während der gesamten Paarungszeit im Herbst und Winter, die üblicherweise durch kühlere Bedingungen geprägt ist. Während die Weibchen also der Hitze auswichen, kehrten die Männchen wie gewohnt im November zurück, um sich fortzupflanzen.

Wie Waldbrände unter Wasser

„Diese immer häufigeren und extremeren Hitzewellen sind wie Waldbrände unter Wasser – mit enormen, noch kaum abschätzbaren Auswirkungen auf Meereslebewesen“, erklärt Dr. David Jacoby, Zoologe an der Lancaster University und Hauptautor der Studie. „Wir sehen deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede: Weibliche Engelhaie sind deutlich temperaturempfindlicher und meiden ihre traditionellen Paarungsgebiete, wenn das Wasser zu warm ist. Die Männchen hingegen halten an ihrem üblichen Verhalten fest – selbst bei Extremtemperaturen.“

Die Kanarischen Inseln markieren den südlichsten Bereich des natürlichen Verbreitungsgebiets der Engelhaie. Die dortige Population gilt als besonders wichtig für den Fortbestand der Art, die laut Roter Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) als vom Aussterben bedroht eingestuft ist. Die Tiere – sowohl ausgewachsene als auch Jungtiere – werden regelmäßig gesichtet und sind zu einem Aushängeschild für den regionalen Tauch-Tourismus geworden.

Zwischen 2018 und 2023 verfolgten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mithilfe akustischer Ortung über 100 individuelle Tiere und verknüpften deren Aufenthaltsorte mit Umweltparametern. Vor dem Jahr 2022 zeigten sich regelmäßig deutliche Spitzen in der Anwesenheit beider Geschlechter im November und Dezember. Doch 2022 blieb die Zahl der weiblichen Haie das ganze Jahr über ungewöhnlich niedrig. Die Daten deuten darauf hin, dass 22,5 °C eine kritische Temperaturobergrenze für Weibchen darstellen könnte.

Fortpflanzung braucht Energie

Während des fünfjährigen Beobachtungszeitraums stiegen die maximalen Meerestemperaturen kontinuierlich an. Die Zahl der Tage mit Temperaturen über 22,5 °C wuchs von 30 Tagen (2019) auf 85 Tage (2022). In diesem Jahr hielt die Wärme bis weit in den Spätherbst an und überschritt die kritische Grenze bis in den November – also mitten in der Paarungszeit. Der Grund für das veränderte Verhalten der Weibchen liegt in ihrer Physiologie: Die Fortpflanzung ist für weibliche Engelhaie besonders energieaufwendig. Um ihre Stoffwechselprozesse im Gleichgewicht zu halten, sind sie auf bestimmte Temperaturbereiche angewiesen.

Dr. Lucy Mead, Erstautorin der Studie und Forscherin an der Zoological Society of London und der Lancaster University, betont: „Dass Umweltveränderungen nun zu einem zeitlichen Auseinanderfallen der Ankunft von Männchen und Weibchen an den Fortpflanzungsplätzen führen, ist äußerst besorgniserregend. Männliche Engelhaie scheinen selbst unter ungünstigen Bedingungen die Paarung zu priorisieren, während Weibchen stärker auf Temperaturreize reagieren. Das ist biologisch durchaus sinnvoll – denn wie bei vielen wechselwarmen Arten sind weibliche Tiere temperaturabhängiger. Doch mit der zu erwartenden weiteren Erwärmung könnten wichtige Lebensräume für Weibchen unbewohnbar werden. Das hat ernste Konsequenzen für den Schutz dieser bedrohten Art.“

So wichtig ist der Schutz der Ozeane

Auch Dr. Eva Meyers, Mitinitiatorin des Angel Shark Project und Forscherin am LIB, warnt: „Diese Ergebnisse zeigen einmal mehr, wie stark klimatische Extreme das Verhalten sensibler Meeresarten bereits heute verändern. Langfristiges Monitoring besonders sensibler Lebensräume – wie rund um die Kanaren – ist ein zentrales Element jeder wirksamen Strategie zur Erholung mariner Biodiversität. Die Kanaren sind einer der letzten Rückzugsräume dieser Art – der Schutz dieser Gewässer ist dringender denn je.“

Für Dr. Dennis Rödder, Privatdozent und Arbeitsgruppenleiter am LIB, ist die Studie ein wichtiger Beleg für die Auswirkungen der Klimaveränderungen auf die Ozeane: „Der anthropogene Klimawandel hat nicht nur gravierende Auswirkungen auf terrestrische Systeme, sondern beeinflusst auch Lebensgemeinschaften in unseren Meeren. Diese können sehr vielfältig sein: Vom Korallensterben bis hin zu demographischen Veränderungen in Populationen“

Finanziell unterstützt wurde die Forschung unter anderem durch:
Shark Conservation Fund, Oceanário de Lisboa, Gobierno de Canarias, Loro Parque Fundación, Save Our Seas Foundation, Ocean Tracking Network, WWF Niederlande, Deutsche Elasmobranchier-Gesellschaft, Queen Mary University of London, Institute of Zoology (ZSL) sowie den Natural Environment Research Council.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Eva Meyers, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), Museum Koenig Bonn, e.meyers@leibniz-lib.de
PD Dr. Dennis Rödder, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), Museum Koenig Bonn, +49 228 9122-252, d.roedder@leibniz-lib.de

Originalpublikation:
Global Change Biologiy: „Rapid ocean warming drives sexually divergent habitat use in a threatened predatory marine ectotherm“, https://doi.org/10.1111/gcb.70331

Bildquelle, falls nicht im Bild oben angegeben:

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