Ein Team unter Leitung des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) hat eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Ruhestadien einer Kieselalge, die vor nahezu 7000 Jahren auf den Grund der Ostsee gesunken waren, konnten wiederbelebt werden. Ohne Licht und Sauerstoff überdauerten sie im Sediment und zeigten nach ihrer Reaktivierung eine verblüffende Lebensfähigkeit.
Zeitkapsel im Meeresboden
„Solche Ablagerungen sind wie eine Zeitkapsel mit wertvollen Informationen über vergangene Ökosysteme mit ihren Lebensgemeinschaften, deren Populationsentwicklung und genetischen Veränderungen“, erklärt Sarah Bolius, Phytoplanktonexpertin am IOW und Erstautorin der kürzlich veröffentlichten Studie.
Im Rahmen des Projekts PHYTOARK wurden Sedimentkerne aus der Ostsee gezielt auf keimfähige Phytoplankton-Dauerstadien untersucht – ein Forschungsansatz, der unter dem Namen „Auferstehungsökologie“ bekannt ist. Die wiedererweckten Organismen werden genetisch und physiologisch analysiert, um sie mit heutigen Populationen zu vergleichen.
Algen trotzen der Zeit
Die Proben stammen aus bis zu 240 Metern Tiefe im Östlichen Gotlandtief und repräsentieren rund 7000 Jahre Ostseegeschichte.
„Erstaunlich ist, dass die wiedererweckten Algen nicht nur ‚grade so‘ überlebt, sondern offenbar auch ihre ‚Fitness‘, also ihr biologisches Leistungsvermögen, nicht eingebüßt haben“, betont Bolius.
Die Kieselalge Skeletonema marinoi, die heute typischerweise während der Frühjahrsblüte auftritt, wurde in allen Proben lebendig gefunden. Selbst die ältesten Zellen, etwa 6871 Jahre alt, zeigten stabile Wachstumsraten von 0,31 Zellteilungen pro Tag – vergleichbar mit modernen Vertretern. Auch ihre Photosyntheseleistung entsprach heutigen Standards: „Das sind Werte, die denen von jetzigen Vertretern dieser Art sehr ähnlich sind“, sagt Bolius.
Genetischer Fingerabdruck durch die Jahrtausende
Neben physiologischen Merkmalen wurden auch genetische Profile der Algen untersucht. Mithilfe der Mikrosatellitenanalyse konnten Unterschiede zwischen den Proben aus verschiedenen Sedimentschichten festgestellt werden. Diese bildeten genetisch unterscheidbare Gruppen – ein deutlicher Hinweis auf evolutionäre Veränderungen über die Jahrtausende hinweg. Das Team hofft, durch diese Erkenntnisse mehr über die Anpassungsmechanismen von Phytoplankton an Umweltveränderungen zu erfahren und zukünftige Entwicklungen im empfindlichen Ökosystem der Ostsee besser vorhersagen zu können.
Originalpublikation: https://doi.org/10.1093/ismejo/wrae252