Herr Prof. Drewes, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Verfügbarkeit von Wasser und die Häufigkeit und Intensität von Wassernotlagen (Dürren wie Überschwemmungen) sind weltweit spürbar. Wie sehr haben sich derartige Entwicklungen aus Ihrer Sicht in den vergangenen, etwa 20 Jahren beschleunigt bzw. verstärkt?
Jörg E.Drewes: Was uns besondere Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass sich Extreme – wie zu viel oder zu wenig Wasser – in den vergangenen 20 Jahren vor allem bezüglich ihrer Häufigkeit, ihres Ausmaßes, der Dauer und ihrer räumlichen Verteilung verändert haben. Wir haben es mit einer neuen Qualität von Risiken und Unsicherheiten zu tun. Unsere bisherige Grundannahme war, dass sich Niederschlagsmuster, Abflussverhalten, Grundwasserneubildungsraten oder Verdunstungsraten in historisch bekannten Schwankungsbereichen bewegen. Diese Grundannahme stationärer Bedingungen ist nicht länger gültig. Wir müssen anerkennen, dass wir es mit steigenden bzw. fallenden Trends, Treppenfunktionen oder stärkeren Amplituden zu tun haben. Daher müssen wir lernen, uns an diese instationären Bedingungen anzupassen und das möglichst zügig.
Welche Wassernotlagen weltweit sind so gravierend, dass sie eine „planetare Dimension“ annehmen und worin besteht jeweils diese planetare Dimension?
Jörg E.Drewes: Wassernotlagen weltweit werden angesichts der prognostizierten klimatischen, ökologischen, sozioökonomischen und geopolitischen Entwicklungen zunehmen. Diese Notlagen resultieren vermehrt in Bedrohungslagen jenseits des bisherigen Erfahrungsspektrums. In bestimmten Situationen können dabei auch Grenzzustände erreicht werden, bei denen den Menschen und Ökosystemen die Lebensgrundlagen entzogen werden. Zum Beispiel schwindet die Bewohnbarkeit, herkömmliche Landwirtschaft ist nicht mehr möglich, Wirtschaftsunternehmen wandern ab, Ökosystemleistungen kippen und sind nicht wiederherstellbar. Mittlerweile treten solche Notlagen in vielen Weltregionen auf und bilden dadurch ein Muster mit planetarer Dimension.
In dem Gutachten wird vor dem Erreichen bzw. Überschreiten von Grenzen der Beherrschbarkeit für bestimmte Wassernotlagen gewarnt. Wie sind diese Grenzen definiert und sind sie überhaupt erkennbar, bevor sie erreicht sind?
Jörg E.Drewes: Die Grenzen der Beherrschbarkeit bei Wassernotlagen sind erreicht, wenn sich gesellschaftliche Strukturen und Ökosysteme destabilisieren und Handlungsspielräume verschwinden. Diese Grenzzustände stellen sich den regionalen Bedingungen geschuldet sehr unterschiedlich dar, aber für alle gilt es einen sicheren Abstand zu den Grenzen der Beherrschbarkeit zu halten oder zu vergrößern.
Vielleicht nehmen wir ein konkretes Beispiel: die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021. Zum Zeitpunkt der Katastrophe war ihre Grenze der Beherrschbarkeit sicher weit überschritten, aber mittlerweile wird daran gearbeitet, diese Grenze durch Schutzmaßnahmen und Frühwarnsysteme zu verschieben.
Jörg E.Drewes: Nehmen wir doch mal das Beispiel Ahrtal: Richtig, hier wurde nach der Katastrophe reagiert durch noch bessere Schutzmaßnahmen, effektivere Frühwarnsysteme und Meldeketten sowie die Untersagung des Wiederaufbaus in einigen Gebieten. Wir müssen uns aber auch eingestehen, dass inkrementelle Anpassungsmaßnahmennicht mehr ausreichen. Im Ahrtal gibt es beispielsweise Gebiete, in denen der Wiederaufbau erfolgt, obwohl davon lieber hätte abgeraten werden sollen. Um regionale Wassernotlagen möglichst zu vermeiden, bedeutet das auch zu radikaler Umsteuerung bereit zu sein, insbesondere in der Landnutzungs-, Industrie-, Siedlungs- und Infrastrukturpolitik. Transformative Anpassungsmaßnahmen im Ahrtal würden rigorose Siedlungseinschränkungen bedeuten. Wenn man den Betroffenen nun gegenübersteht, ist das auch von der Politik nur schwer vermittelbar. Daher brauchen wir hier dringend eine gesellschaftliche Debatte, welche Risiken wir weiterhin als tolerabel sehen und wie weit Anpassungsmaßnahmen gehen sollten und können. Dieser Dialog ist dringend nötig, denn wir stoßen angesichts der Häufigkeit und des Ausmaßes von Wassernotlagen vermehrt auch an finanzielle Grenzen staatlicher Nothilfen und an Grenzen der Versicherbarkeit. Der WBGU sieht gerade hier auch eine neue Rolle der Wissenschaft. Erstens bedarf es einer Wissensbereitstellung von belastbaren Prognosedaten und Szenarien über die Veränderungsdynamik sowie die fortlaufende Bewertung von Anpassungsmaßnahmen und zweitens eines Transfers wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Lesen Sie das vollständige Interview in der gwf Wasser/Abwasser Ausgabe 11/2024.