Herr Dr. Townsend, welches sind die prioritären Wirtschaftszweige für Europa und nach welchen Kriterien wurden sie priorisiert?
Dr. Geoff Townsend: Zunächst möchte ich grundsätzlich betonen, dass Wasser und Energie für alle Industriebereiche kritische Ressourcen sind, von denen Wachstum, Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit abhängen. Beide Sektoren hängen direkt zusammen: Abhängig von der Branche werden 35 bis 75 % des Gesamtenergiebedarfs eines Standorts mittels Wasser übertragen. Gerade Wettbewerbsfähigkeit spielt eine zentrale Rolle in unseren Diskussionen mit der EU-Kommission und das zu Recht. Wenn Unternehmen ihr Wasser effektiver managen, können sie bessere Produkte herstellen, Risiken und Kosten reduzieren. Um es kurz zu machen: der Kern der Wettbewerbsfähigkeit ist Produktivität. Wasser und Energie haben entscheidenden Anteil an dieser Produktivität. Die vier Industriesektoren, auf die sich unser Bericht konzentriert, sind die Halbleiterindustrie, Datenzentren, die Erzeugung und Speicherung erneuerbarer Energien sowie Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie. Diese Bereiche zeichnen sich insbesondere durch zwei Merkmale aus: Es sind sehr wasserintensive Branchen und es werden für sie hohe Wachstumsraten für die kommenden Jahre erwartet. Darüber hinaus sind die Sektoren Halbleiter, erneuerbarer Wasserstoff und Batterien für Elektrofahrzeuge von sehr hohem Wert. Ihr Marktwert betrug im Jahr 172 Mrd. €, mit einem prognostizierten Wachstum auf rund 1 Billion € bis 2030. Dieses Wachstum auf nachhaltige Weise zu steuern, ist von entscheidender Bedeutung, denn diese Sektoren sind sehr wichtig für die Erreichung des EU-Ziels der Netto-Null-Emissionen und für die Energiesicherheit. Und damit sind diese Industrien essenziell für die Unabhängigkeit der EU.
Welche Bedeutung hat Wasser für diese Branchen und welche Rolle spielen diese Branchen für den Gesamtwasserhaushalt in den verschiedenen EU-Ländern?
Dr. Geoff Townsend: Wie gesagt, es handelt sich um wasserintensive Industrien und im Bericht geht es darum, wie ihre Wasserproduktivität gesteigert werden kann. Der Begriff der Wasserproduktivität stammt aus der Landwirtschaft und beschreibt das Verhältnis zwischen dem wirtschaftlichen Ertrag pro eingesetztem Wasservolumen für die Produktion. Für die Betrachtung der nicht-landwirtschaftlichen Produktion haben wir die Wasserproduktivität als Verhältnis der Bruttowertschöpfung zum eingesetzten Wasservolumen berechnet. Aber es geht nicht nur um die Wassermenge, sondern auch um die Wasserqualität. Um mal ein paar Zahlen für die Halbleiterindustrie zu nennen: Zurzeit werden in der EU etwa 3 Mio. Wafer pro Monat hergestellt. Dafür werden 45 Mio. m³ Wasser benötigt, das sind 21 Liter pro cm² Wafer. Dieses muss Reinstwasser (ultra pure water, UWP) sein. Probleme mit der Wasserqualität haben enorme wirtschaftliche Folgen: Lieferketten werden unterbrochen, Materialien werden knapp und damit steigen die Preise. Bei den großen Datenzentren wird in erster Linie Kühlwasser benötigt, etwa 20 % des derzeit in der EU genutzten Kühlwassers gehen in Datenzentren, das sind etwa 90 Mio. m³ pro Jahr. Die meisten Datenzentren, insgesamt etwa 36 % der Gesamtkapazität, befinden sich in Frankfurt, London, Amsterdam, Paris und Dublin. Dies sind Ballungsräume mit guter Konnektivität, in denen sich einerseits die Hauptquartiere der Betreiberunternehmen, andererseits aber auch viele Kunden befinden. Allein für den Standort Dublin wird eine jährliche Wachstumsrate von über 17 % zwischen 2024 und 2030 erwartet. Damit würde der Anteil von Dublin an der Gesamtkapazität von 2 % auf 8 % steigen. Weitere Datenzentren sollen in Nordeuropa entstehen, wo die Kühlung aufgrund des Klimas einfacher und erneuerbare Energie zu relativ geringen Preisen verfügbar ist. Außerdem herrschen dort stabile politische Verhältnisse und Projekte lassen sich schneller und unbürokratischer umsetzen. Die Batterieherstellung ist schon wegen der Gewinnung der Rohstoffe als extrem wasserintensiv einzuordnen. Für die Herstellung von etwa 100 Batterien für Elektroautos wird etwa eine Tonne Lithium benötigt. Dessen Gewinnung erfordert etwa 2 Mio. m³ Wasser. Darüber hinaus brauchen die Gigafabriken für Batterien große Wassermengen sowohl für die Produktion als auch zur Kühlung.
Gibt es große Unterschiede im Umgang mit Wasser bei Unternehmen, die dem gleichen Wirtschaftszweig zuzuordnen sind, aber in verschiedenen EU-Ländern angesiedelt sind?
Dr. Geoff Townsend: Die Prozesse, in denen Wasser in den Unternehmen einer Branche in verschiedenen Ländern eingesetzt werden, unterscheiden sich kaum. Aber die einzelnen Länder unterscheiden sich in ihrer strategischen Reaktion auf Wasserverfügbarkeit, Kosten und Kohlenstoffemissionen. Dies betrifft insbesondere das Thema Kühlung. Hier gibt es ein steigendes Interesse an „wasserfreien“ Technologien. Aber Wasser ist nun mal ein sehr effizientes Medium zum Heizen wie Kühlen. Die Abkehr von dieser Effizienz führt in der Regel zu erheblich höheren Investitions- und Betriebskosten, zu einem höheren Energieverbrauch und damit zu höheren Kohlendioxid-Emissionen. Das Microsoft-Rechenzentrum in Clondalkin, Irland, verwendet Außenluft und kein Wasser zur Kühlung, wenn die Außentemperatur unter 29,4 Grad Celsius liegt, wodurch der Wasserbedarf für die Kühlung auf weniger als 2 % des Jahres reduziert wird. Damit erreicht das Rechenzentrum eine Wassernutzungseffizienz (WUE) von 0,03 l/kWh, was im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt der Wassernutzungseffizienz von 0,49 für Microsoft-Rechenzentren deutlich niedriger ist…..