Die Bundesstelle für Chemikalien (BfC) hat mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und weiteren Behörden TFA jüngst als „fortpflanzungsgefährdend“ eingestuft. Vor Kurzem hatten die Wasserwerke Bodensee-Rhein Alarm geschlagen. Durch TFA sei auch Trinkwasser zunehmend bedroht. Die Belastung am Hochrhein etwa habe sich in den vergangenen Jahren verdoppelt.
Behördlich genehmigt: Solvay leitet behandeltes TFA in Neckar ein
In Bad Wimpfen (Kreis Heilbronn) leitet das Chemiewerk von Solvay seit vielen Jahren die Ewigkeits-Chemikalie TFA in den Neckar ein und das behördlich genehmigt. Am Rande des Neckars produziert das Unternehmen Lötflussmittel für Klimaanlagen und Fluorprodukte für die Elektro- und Autoindustrie. Dabei entsteht als Abfallprodukt auch TFA. Die Ewigkeits-Chemikalie steckt jedoch auch generell in Pflanzenschutz- oder Kältemitteln und gelangt so ebenfalls in die Umwelt.
Experte sieht TFA sehr kritisch
Seit Jahren forscht Prof. Dr. Martin Scheringer an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) im Fachbereich Umweltsystemwissenschaften zum Thema TFA und zu den umstrittenen Per- und Polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS). Er gilt auf seinem Gebiet als einer der renommiertesten Experten weltweit und hat sich auf SWR-Anfrage zur laufenden Diskussion um TFA geäußert.
„Grundsätzlich ist die Freisetzung einer gar nicht abbaubaren Substanz sehr problematisch; salopp gesagt, ist es falsch und dumm, denn die Substanz sammelt sich dann natürlich in der Umwelt an, kann nicht mehr entfernt werden und führt früher oder später zu toxischen Wirkungen.“
Kann man TFA wieder aus dem Wasser bekommen?
Das Brisante: TFA verschwindet – einmal freigesetzt – nie wieder aus der Umwelt, so der Experte. Der Wissenschaftler fordert daher, dass mit solchen Substanzen viel vorsichtiger umgegangen werden muss als noch in der Vergangenheit. Derzeit laufen zum Beispiel auch Pilotprojekte, etwa bei der Wasserversorgung Bad Rappenau (Kreis Heilbronn). Hier will man mit Filteranlagen auf Aktivkohlebasis TFA aus dem Wasser entfernen. Professor Scheringer ist jedoch skeptisch, dass diese Filtermethoden überhaupt funktionieren. Die Filterung dieser Kleinstsubstanzen sei faktisch nahezu unmöglich. Oder mit sehr hohen Kosten verbunden.
Das Chemiewerk Solvay in Bad Wimpfen erklärt auf SWR-Anfrage, dass es TFA als Rohstoff zur Herstellung von Produkten verwendet. Vor Ort werde es nicht hergestellt. Das TFA werde in eine „stabile Salzform (Trifluoracetat) neutralisiert“ und nach einer Abwasserbehandlung in den Neckar eingeleitet. Der Standort Bad Wimpfen werde im Einklang mit den geltenden gesetzlichen Anforderungen zum Umwelt- und Gesundheitsschutz betrieben. Es habe am Standort erhebliche Investitionen gegeben, um die Emissionen in die Umwelt zu reduzieren.
Wie viel TFA Solvay in den Neckar leiten darf
Doch wie ist überhaupt zu erklären, dass ein Chemiewerk wie Solvay TFA in den Neckar abführen darf? Rechtlich ist das klar geregelt. Laut Regierungspräsidium Stuttgart hat die Solvay GmbH 2016 eine wasserrechtliche Erlaubnis zur Einleitung erhalten.
Dabei kommen verschiedene Gesetze zur Anwendung, etwa die Abwasserverordnung für die Chemische Industrie. Solvay darf damit also behördlich genehmigt aktuell ein Kilo TFA pro Stunde in den Neckar laufen lassen. Auf ein Jahr gerechnet sind das allerdings mehrere Tonnen.
Das Regierungspräsidium (RP) weist darauf hin, dass durch technische und organisatorische Maßnahmen die eingeleiteten TFA-Mengen von Solvay seit 2016 um circa 90 Prozent reduziert werden konnten. Heißt im Umkehrschluss: Solvay hat in der Vergangenheit viel größere Mengen in den Neckar eingeleitet.
Kein TFA-Grenzwert bis 2016
Auf SWR-Anfrage erklärt das RP, dass es vor 2016 zwar wasserrechtliche Erlaubnisse gab, die jedoch keine Regelungen zu TFA enthielten, da es auch noch keinen TFA-Grenzwert gab. Die Behörde ging früher von einer „worst-case-Annahme eines Betriebs aller Anlagen von einer Einleitung von maximal 17 kg TFA/h in den Neckar durch die Solvay GmbH aus.“
Am Standort würden seit 1996 Produkte der Trifluormethylgruppe (CF3) im industriellen Umfang hergestellt. „Es ist davon auszugehen, dass seither TFA-haltiges Abwasser in den Neckar eingeleitet wird“, schreibt das RP in seiner Stellungnahme.
Sehr hoher TFA-Wert in Waldwasserquelle gemessen
2016 hatte die TFA-Einleitung von Solvay schon einmal für viel Wirbel gesorgt, als mittels einer neuen Messmethode höhere Werte von TFA im Neckar und im Wasser bei Edingen-Neckarhausen (Rhein-Neckar-Kreis) festgestellt wurden. Seit Kurzem rätseln die Behörden, weshalb in einer Waldwasser-Quelle in der Nähe des Solvay-Werksgeländes in Bad Wimpfen ein sehr hoher TFA-Wert von 320 Mikrogramm pro Liter gemessen worden ist. Das Wasser dieser Quelle wird rein als Brauchwasser, also nicht zum Konsum genutzt. Die Waldwasserquelle sei auch nicht mit der öffentlichen Wasserversorgung verbunden, heißt es von seiten der Behörden. Die auffälligen Werte seien derzeit jedoch nicht plausibel erklärbar. Es würden hier Prüfungen laufen.
Wann ist Ewigkeits-Chemikalie TFA eine Gefahr für die Gesundheit?
BfC, BfR und Umweltbundesamt (UBA) fordern, ihre Neubewertung von TFA jetzt einheitlich auf EU-Ebene zu übertragen. Neu ist, dass TFA von den deutschen Behörden als fortpflanzungsgefährend eingestuft wird. Die offizielle Gefahrenklasse heißt: „Reproduktionstoxisch, Kategorie 1B“ mit den Gefahrenhinweisen: „Kann das Kind im Mutterleib schädigen. Kann vermutlich die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.“
Die Behören weisen jedoch darauf hin, dass der toxikologische Effekt im Tiermodell erst bei TFA-Konzentrationen nachgewiesen wurde, die deutlich oberhalb der Gehalte in der Umwelt liegen. Derzeit seien gesundheitliche Beeinträchtigungen deshalb nicht zu erwarten, wenn mit TFA belastetes Wasser oder Nahrungsmittel verzehrt würden. ETH-Experte Scheringer gibt hier jedoch zu bedenken, dass sich TFA-Konzentrationen in der Umwelt immer weiter anreichern, weil sich der Stoff eben nicht abbaut.
Sehr lang anhaltende Verschmutzung von Wasser wäre möglich
Aus dem Umweltbundesamt heißt es: TFA könne eine „sehr lang anhaltende und diffuse Verschmutzung von Wasserressourcen verursachen“. Eine EU-weite harmonisierte Gefahreneinstufung sei daher dringend notwendig. In einer Pressemitteilung von Ende Mai wird der Präsident des Umweltbundesamts Dirk Messner deutlich:
„Die Zahl und Mengen der Chemikalien, die zu TFA abbauen, steigt stetig. Die Einträge in die Umwelt müssen schnellstmöglich gesenkt werden, damit Umwelt- und Trinkwasserressourcen nachhaltig geschützt werden.“
Welche Grenzwerte gibt es?
Laut Regierungspräsidium gibt es für TFA bisher keinen Grenzwert. Es gebe aber einen Trinkwasserleitwert in Höhe von 60 Mikrogramm pro Liter vom Umweltbundesamt. Dieser Wert gebe die „toxikologisch tolerierbare Konzentration für das Trinkwasser an, bei der den vorliegenden Erkenntnissen zufolge davon ausgegangen werden kann, dass der lebenslange Konsum nicht zu gesundheitlichen Schäden führt.“ Laut RP habe sich das UBA allerdings dafür ausgesprochen, eine TFA-Konzentration von 10 Mikrogramm pro Liter oder weniger anzustreben.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert ein schnelles Verbot der Ewigkeits-Chemikalie TFA.
Dass dieser Stoff behördlich genehmigt in den Neckar eingeleitet werden dürfe, sei „unverantwortlich“, so Manuel Fernández, Referent für Stoffpolitik beim BUND. Es müsse darum gehen, den Eintrag dieser „extrem langlebigen Schadstoffe in die Umwelt und damit steigende Konzentrationen weitgehend zu stoppen.“ Für den BUND-Experten wäre ein Weg, TFA in die Sondermüllverbrennung zu geben. Nur so könne es sicher entsorgt werden. „Auf keinen Fall sollte es weiter abgeleitet werden“, so Fernández.
Der weltweit gefragte TFA-Experte von der ETH Zürich sieht es ebenfalls sehr kritisch, dass die Chemikalie überhaupt weiter einfach so in die Umwelt gelangen darf.
„Es ist ein Fall von Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Kosten. Emissionen dieser Art sind üblich und vermutlich – nach derzeitigem Recht – auch legal. Es gibt eine Menge problematischer Gepflogenheiten in unserer Industriegesellschaft. Der TFA-Fall macht sie nun wohl besser erkennbar als zuvor.“
Klar ist für den Wissenschaftler: In der Vergangenheit sei man mit solch persistenten, also langlebigen Substanzen, insgesamt viel zu sorglos umgegangen.
Quelle: Experte zu TFA: „Es ist falsch und dumm, so etwas freizusetzen“ – SWR Aktuell







